
Wenn man irische Eltern hat, aber in London geboren wird, ist man offenbar Ire. Sogar, wenn man anschließend in London aufwächst. Offenbar ist der Schmelztiegel London mittlerweile so beliebig, dass die exotischere Identität (wenn Irland denn exotisch ist) für die Seele besser ist. Ich habe den Autor und Regisseur Martin McDonagh natürlich nicht gefragt, ob er sich als Engländer oder als Iren sieht, aber die Tatsache, dass er allenthalben als „irischer Künstler“ gehandelt wird, deutet darauf hin, dass es ihm zumindest nichts ausmacht. Und wer würde sich nicht gern in die glorreiche schriftstellerische Tradition der grünen Insel einreihen. Zum Thema „berühmte Schriftsteller aus Nordhessen“ fallen mir jedenfalls nicht so furchtbar viele ein. Um kulturelle Tradition geht es auch in McDonaghs Langfilmdebüt aus dem Jahre 2008, BRÜGGE SEHEN… UND STERBEN?.

Die beiden Auftragsmörder Ray und Ken werden nach Abschluss eines Jobs von ihrem Boss nach Brügge beordert. Brügge ist eine Stadt in Belgien mit sehr hübschem historischen Stadtkern, dem offenbar der zweite Weltkrieg nicht allzu viel anzuhaben vermochte. Hier sollen sie auf weitere Anweisungen warten. Während Ken, der ältere der beiden, sich mit dem Reiseführer in der Hand die Sehenswürdigkeiten zu Gemüte führt, hält Ken die Idylle nicht aus. Er hasst die Stadt regelrecht und will wieder weg sobald es geht. Während die beiden sich mehr schlecht als recht zusammen raufen, erfahren wir den Grund für Kens Unruhe. Beim letzten Mord, den er an einem Priester verübte, tötete er unabsichtlich auch einen Jungen. Ein kleiner Silberstreif scheint für den traumatisierten Mörder aufzutauchen, als er Chloë kennen lernt, die nach eigenen Angaben Drogen an ein Filmteam vertickt, die gerade in der historischen Altstadt drehen, aber trotzdem ziemlich nett und normal ist. Beim ersten Date schlägt Ray zwar ein kanadisches Touristenteam nieder und nimmt anschließend einem Ganovenkumpel von Chloë mit einer Platzpatrone das Augenlicht, dennoch scheint die Beziehung zwischen den beiden sehr vielversprechend. Harry, der Boss, ruft Ken an und gibt ihm den Auftrag, Ken zu töten, eben weil dieser ein Kind zu einem Kollateralschaden gemacht hat. Ken ist drauf und dran, den Auftrag zu erfüllen, als Ray sich gerade eine Pistole an den Kopf setzt, um sich selbst zu töten. Das kann sein Kollege nicht zulassen, und er setzt in der Folge alles daran, damit Ray eine zweite Chance bekommt, ja er opfert sich sogar für ihn, als Harry selbst auftaucht, um die Insubordination Kens zu rächen.

Collin Farrell spielt Ray mit unablässig zusammen gekniffenen Augenbrauen, die eine steile Sorgenfalte produzieren. Ständig unter Stress, unfähig, sich zu entspannen, erratisch und doch sehr kindlich. Im zur Seite stellt McDonagh den Ruhepol Brendan Gleeson, der zu einem guten Freund wird und sich am Ende sogar für ihn opfert. So ernst wie McDonagh die geistige Verfassung der beiden Killer nimmt und dennoch viele komische Momente einstreut, weiß man einige Zeit nicht, wozu man bei diesem Film eigentlich gebeten ist. Auch in seinen Stücken, am auffälligsten vielleicht in DER KISSENMANN herrscht eine fast bösartig zu nennende Mischung aus Horror, bzw. Splatter und Humor vor, die einige Parallelen zu Aki Kaurismäki aufweist, aber in eine noch deutlich dunklere Richtung geht, sich zumindest noch weiter vom Alltag entfernt. Was den Autor/Regisseur vielleicht am deutlichsten als geistigen Iren ausweist, denn die letztlich fatalistische Weltsicht, die er mit traurigem Humor mischt, zeigt, dass er das geistige Erbe von Beckett angenommen hat – und weiter trägt.
Anwendungsgebiete: Sepsis.