

Ich bin kein Opernconnaisseur, deshalb hatte ich beim heutigen Genuss des oben zusammengefassten Werkes von Gaetano Donizetti folgendes Problem: Ich habe es im Livestream der Münchner Staatsoper angeschaut und dazu mein iPad mit dem Fernseher verbunden. Die Qualität war gut (leider nicht HD, aber das macht nix), insgesamt fünf Mal hing die Übertragung und die Webseite wollte neu geladen werden (was ich auch okay finde), ABER: Der Stream fürs iPad versagte leider im Bezug auf Untertitel, so dass ich auf den Opernführer und die Einführung des netten Herrn Bacheler angewiesen war, was die Handlung betraf. Ein harter Schlag für einen Logozentriker wie mich. Abgesehen vom einen oder anderen „sangue“ und „Lucia“ war nix zu verstehen. Dennoch, oder vielleicht gerade deshalb, war es ein sehr interessanter Abend. Zurückgeworfen auf die Musik und das Spiel der Sänger hatte ich es nicht immer leicht, herauszufinden, worum es eigentlich gerade geht. Dabei kommt die Inszenierung von Barbara Wysocka ziemlich realistisch daher, kaum eine symbolische Überhöhung – gut, zu Anfang und am Ende wieder ein Mädchen, das vielleicht sowas wie Lucias verstörte Kinderseele verkörperte und ein paar Projektionen, aber sonst ließ die Regisseurin den Sängern viel Raum, ohne sie mit den Partien allein zu lassen. Wysocka siedelt die Oper in den späten Fünfzigern in Amerika an, zur Kennedy-Zeit, da dies – so ihre Aussage im Pausenbericht – die letzte historische Epoche gewesen sei, in der Brüder ihre Schwestern aus politischen Gründen hätten verheiraten können. Bei allem Respekt, das ist Quatsch. Nichts gegen die Verortung der Inszenierung, die durchaus Sinn ergibt, aber nur weil dynastische Heiraten in der westlichen Welt etwas seltener geworden sind, heißt das noch lange nicht, dass es keine Zwangsverheiratungen aus allen möglichen politischen, wirtschaftlichen und persönlichen Gründen in anderen Teilen der Welt mehr gibt. In diesem Augenblick dachte ich mir, dass die Theatervermittlung in Form von redaktionellen Beiträgen, wie beim Livestream aus der Staatsoper üblich, nicht nur ein Segen sind. Da fand ich den Beitrag über die Glasharmonika, der sich anschloss, interessanter.

Die stimmlichen Leistungen der Sänger zu beurteilen, steht mir nicht zu – ich fand vor allem Pavol Breslik als Edgardo und Georg Zeppenfeld als Raimondo ansprechend. Was die darstellerische Qualität betrifft, ist so eine Livestream-Kamera, vor allem in Naheinstellung, nicht immer schmeichelhaft für die Sänger. Gnadenlos zeigt sich jeder Ansatz von Over-Acting, die erfreulich selten, aber eben doch vorhanden waren, in dieser LUCIA. Nun bin ich kein Sänger, aber es leuchtet mir ein, dass man bei den stimmlichen Höchstleistungen, die man zu vollbringen hat, nicht jede Bewegung und schon gar nicht jede mimische Regung kontrollieren kann. Es lassen sich jedoch deutliche Unterschiede darin beobachten, wie vielen Impulsen die Sänger folgen und wie sehr sie in der Lage sind, ihre Ausdrucksmittel auch getrennt von einander einzusetzen. Diana Damrau, zum Beispiel, die Lucia des Abends, folgt gern und häufig ihren Impulsen. Es entsteht das Bild einer ständig unter Strom stehenden Frau, zumal wenn sie mit anderen Figuren interagiert, als ob sie immer um Aufmerksamkeit buhlt. In der Wahnsinnsszene, wo sie die volle Aufmerksamkeit aller Anwesenden hat, wirkt sie marginal ruhiger, aber auch hier bleibt sie erratisch – was man im Wahnsinn natürlich erwarten würde, aber eigentlich wärs ja schöner, wenns gegen die Erwartung inszeniert wäre. Dalibor Jenis, der ihren Bruder Enrico singt, bildet auch in dieser Hinsicht ihren Gegenpart: Er ruht bei aller Aufgewühltheit fast immer in der Figur; seine Blicke erzählen mir mehr über seine innere Zerrissenheit als ein Dutzend Gesten.