
Da treten zwei Adlige auf und beschuldigen sich gegenseitig des Hochverrats. Henry B. klagt Thomas M. an, Gelder veruntreut und außerdem den Onkel B.s ermordet und allgemein gegen den König konspiriert zu haben. Heutzutage würde man jetzt einen Untersuchungsausschuss einsetzen, und je nachdem wie wichtig dem Regierungschef das Thema ist, würde vielleicht auch ermittelt werden und irgendwann würden schließlich, mit ein bisschen Glück und Gottes Beistand, faktenbasierte Konsequenzen folgen. Um 1400 war das alles noch viel einfacher: Man forderte sich gegenseitig zum Duell, und der Überlebende hatte Recht. Als es nun zwischen B. und M. zur Sache gehen soll, verhindert der König die Herbeiführung des Gottesurteils und verbannt statt dessen einfach mal beide, denn man kann ja nie wissen. Wenig später liegt der Onkel des Königs im Sterben, und weil der König sehr taktvoll ist, stattet er ihm noch einen Besuch ab, und unverschämterweise nutzt der die Narrenfreiheit eines Sterbenden, um sich darüber zu beklagen wie ungerecht diese Verbannungsnummer war (denn Henry B. ist sein Sohn). Da ist es kein Wunder, dass der König nach dem Tod des Onkels seinen Cousin der Bürde des Vermächtnisses enthebt. Und das ist niemand anderer als Henry Bolingbroke, der jetzt eben noch in der Verbannung ist, aber schon bald, als nämlich Richard III. in Irland weilt, nach England zurück kehrt, um erstens sein Recht zu fordern, zweitens generell mal ein bisschen aufzuräumen und drittens, wo er schon mal dabei ist, den König auch gleich noch abzusetzen und sich selbst zu Henry IV. krönen zu lassen.

Es gibt aber einen anderen Aspekt des Stückes, den ich für äußerst spannend halte, nämlich die Frage, warum Richard eigentlich als so schlechter König gilt, dass es als das geringere Übel angesehen werden kann, gegen die göttliche Ordnung zu verstoßen und ihn abzusetzen, als ihn einfach zu ertragen, bis er irgendwann stirbt. Die eingangs geschildert Szene, nämlich die Anklage, die Bolingbroke gegen Mowbray wegen Hochverrats erhebt, gilt Shakespeare offenbar als Schlüsselszene. Ankläger und Beschuldigter sprechen sich gegenseitig ihre Ehre ab und bezichtigen sich der Lüge. Offenbar waren Faktenbeweise in Fragen der Ehre ohnehin keine gültige Währung, deshalb musste ein Gottesurteil durch Zweikampf her. Oder aber der König hätte sich auf die Seite eines der beiden Streithähne stellen können. Er fällt aber erstmal keine Entscheidung, sondern schiebt sie hinaus. Und kurz bevor dann einer der beiden als Sieger oder zumindest Überlebender aus einem Gottesurteil hervorgegangen wäre, bläst er das auch noch ab. Er will die Frage nicht entschieden haben, wer von beiden ein Verräter ist, und zwar ganz offenbar, weil der Sieger einen deutlichen Machtgewinn zu verzeichnen gehabt hätte, zumal wenn er Bolingbroke gehießen hätte. Richard zeigt Zögerlichkeit, Entscheidungsunwilligkeit auf zwei Ebenen: Vordergründig entscheidet er den vorliegenden Fall nicht, aber hinter den Kulissen beseitigt er die bereits bestehende Bedrohung seiner Macht durch Bolingbroke nicht. Der Grund dafür liegt in seiner Unfähigkeit, die eigenen Interessen in der angemessenen Form durchzusetzen, indem er zum Beispiel Bolingbroke nach dem Tode von dessen Vatereinfach enteignet, ohne diesen Schritt angemessen vorzubereiten. Obwohl die Ehre eine irrationale Größe ist, gehorcht sie als soziales Phänomen doch Regeln. Das war um 1400 so und ist es heute immer noch. Ein Politiker darf rücksichtslos und machtversessen sein, aber bestimmte Tabus des Umgangs miteinander darf er nicht verletzen, und bei diesen Tabus geht es immer nur um Kommunikation. Richard hätte Bolingbroke leicht als Verräter hinrichten lassen oder als Favoriten entschärfen können, nur ihn erst zu verdrängen und dann kommentarlos zu schneiden, rief ein Übermaß an bösem Blut hervor. Bolingbroke wird immer wieder als der viel bessere Kommunikator dargestellt, aber keineswegs als der bessere Politiker. Als er nach dem Sieg über Richard mit einem noch viel größerem Supergau von gegenseitigen Beschuldigungen in Fragen der Ehre konfrontiert ist, setzt er zunächst auch ein Gottesurteil an, beseitigt seine Gegner dann aber einfach hinterrücks. Aber wenn er durch die Straßen reitet, grüßt er immer freundlich seine Landsleute. Ach William, da kann man echt was lernen, von deinem Henry.
Eine Antwort auf „19.03. +++ Thronraub für Anfänger“