
Der ehemalige (?) deutsche Nationalheld Siegfried ist für eine legendäre Metzgerleistung berühmt: einen Drachen heroisch und fachgerecht zu filetieren. Das Metzgerhandwerk haben die Macher von SIEGFRIED am Volkstheater zum Leitmotiv erhoben, denn in der Generalprobe der Uraufführung wird die Heldenfigur so lustvoll und gnadenlos zerlegt, dass Kot, Schweiß und Tränen fliegen. Wer alles Wagnerianische von den Heldenknochen pflücken möchte, wird seinen Spaß haben, an diesem Abend.

Nachdem Siggi die beiden Nibelungen Schilbung und Nibelung getötet und so ihren Hort, das Drachenfiletiermesser und gleich noch den Zwerg Alberich (Jona Bergander) geerbt hat, absolviert er die zentrale Leistung der Drachentötung, um fortan mit Kettenhose und freiem Oberkörper aufzutreten – wahrscheinlich eine Konzession an den für Metzger vorgeschriebenen Kettenhandschuh. Die umfangreichen Drachenleichenteile, die jetzt inspiziert werden (und von einem weiblichen Exemplar der Gattung stammen!) erklären, warum das Bühnenbild (Stefan Hageneier) vor- und nachher aus einem zentralen Hügelchen besteht, denn darunter liegt eben das Drachenfrikassee. Dieser Haufen auf der Bühne, der von der Form her eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Maulwurfshügel besitzt und farblich zwischen dunkelbraun und rötlich changiert, ist aber auch eine zentrale Metapher des Abends. Denn dass Siegfried sich zu allen Figuren um ihn herum Scheiße verhält und im allgemeinen nur Scheiße von sich gibt, wird in Bild, Wort und Tat verdeutlicht.

Zaimoglu und Senkel haben keine sprachlichen Berührungsängste, weder mit Pathos und Kitsch, noch mit den Abgründen der sexistischsten Gewaltsprache. Dass sie kulturellen Ikonen wie Shakespeare geschickt durch die Beimischung politischer Unkorrektheit zu eindrücklicher Schärfe verhelfen können, haben sie schon in früheren Stücken unter Beweis gestellt. Allerdings war mir die Nähe zu Werner Schwabs FÄKALIENDRAMEN nie so deutlich wie bei SIEGFRIED. Ähnlich lustvoll wie Schwab etwa in VOLKSVERNICHTUNG zelebrieren sie die anale Fixierung des hygienischen Deutschtums gründlich und stellen so die seelische Hässlichkeit des Nationalmythos zur Schau. Kongenial setzt freilich Stückl diese schwer erträgliche „Fotzenfressen“-Dauerbeschallung auf der Bühne um, indem er sie mit der ständig präsenten körperlichen Schönheit der Heldenfigur kontrastiert.

Überhaupt, Kontraste. Immerhin sechs der neun Schauspielerinnen und Schauspieler übernehmen in Siegfried zwei Rollen, und weder an Klamotte noch an Slapstick wird gespart. Und obwohl die Ernsthaftigkeit der Bühnenhandlung sich oft nur auf die Höhe des zentralen braunen Haufens erhebt, zeigt das Ensemble eine durchgehend brillante Leistung. Jakob Gessner verleiht seinem Strahlemann die anbiedernde Souveränität eines Pornodarstellers; seine körperliche Perfektion wird am deutlichsten im Kontrast mit Robert Joseph Bartls Brunhild, die Bartl nach ihrer Vergewaltigung durch Siegfried und Gunther in berührender Verletztheit zeigt – einer der wenigen stillen Momente des Stücks. Auch Magdalena Wiednhofers sabbernd-aufgedrehte Kriemhild, Frederic Linkemanns Operettenkönige Gunther und Sigmund, Ursula Maria Burkharts Übermütter Sieglinde und Ute sowie Paul Behrens Catweazle-artiger Hagen tragen mit klar geschnittenen Karikaturen zu einem fast episch zu nennenden Trash-Abend bei.