
Als ich für mein letztes Stück am Theater Ulm, REFUGIUM, auf der Suche nach Musik war, tat ich mir sehr schwer zu beschreiben, was es eigentlich war, das mich interessierte – wenn ich zum Beispiel Leute um Rat fragte. Ich sagte solche Sachen wie: „Ich suche nach den Momenten wo die Musik geräuschhaft wird, sich von der Harmonie und Melodie entfernt, wo man das Material der Instrumente spürt.“ Es ist dann relativ harte und manchmal wilde Tangomusik geworden, bei REFUGIUM, aber ich war ein bisschen frustriert, dass ich es nicht genauer beschreiben konnte. Na, das ist jetzt ja auch schon wieder ein halbes Jahr her. Und da browse ich heute so bei YouTube, und stolpere über den tuwinischen Sänger Albert Kuwesin, und auch wenn das eine völlig andere Art von Musik ist – genau das Phänomen, nach dem ich damals gesucht habe, materialisiert sich da plötzlich: Kehlgesang.

Dieser Kehlgesang ist in mehr als einer Hinsicht das Gegenstück zum Countertenor, der sich (für meinen Geschmack) durchaus auch oft vom gesunden Maß verabschiedet, und in Regionen abdriftet, in dem ich ihm nicht folgen mag. Heute morgen erzählte mir eine alte Dame, dass sie von einem Countertenor gehört habe, der gewohnheitsmäßig von älteren Damen bemuttert und wie ein Kind behandelt wird – offenbar, weil sie dem Lockruf seines güldenen Stimmchens wie einem akustischen Kindchenschema gefolgt sind. Ich frage mich, was mit Herrn Kuvezin geschehen ist, wenn er schon als junger Mann so gesungen hat – haben Sie ihm einen Platz auf dem Altenteil angeboten? War er vom Schulunterricht befreit? Zumindest dürfte er sehr ehrfürchtig behandelt worden sein, denn in Asien wird das Alter dem Vernehmen nach ja besser behandelt als hier in Europa, dem Kontinent der ewigen Jugend. Ich glaube, ich hole mir jetzt Kopfhörer, um den Kehlgesang weiter zu genießen. Watson drückt sich so tief in sein Körbchen.
Anwendungsgebiete: Verstopfte Nebenhöhlen